2. naturgucker|kongress (2016)

Zum zweiten Mal haben naturgucker.de und der NABU Landesverband Hessen zum naturgucker|kongress eingeladen, der vom 14. Oktober bis 16. Oktober 2016 in Kassel im Haus der Kirche stattgefunden hat. Insgesamt rund 140 Teilnehmer kamen zu dieser Veranstaltung, die die Frage, was der Naturschutz in den vergangenen Jahrzehnten bewirkt hat und wo sich darin Naturschützer und -gucker wiederfinden, in ihren vielen Facetten ausführlich erörterte. Und was uns sehr gefreut hat: Uwe Becker von hr4 war im Rahmen des Kongresses mit der Naturguckerin Gaby Schulemann-Maier im Schlosspark in Kassel unterwegs.

Lockerer Einstieg am Freitag

Am Freitagabend standen die Begrüßung, Kultur und Kulinarisches im Vordergrund. Hartmut Mai (NABU Hessen) und Stefan Munzinger (naturgucker.de) eröffneten gemeinsam den Kongress. Nach einer kleinen Stärkung am kalten Buffet und der Möglichkeit zum Austausch mit anderen Besuchern ging es unterhaltsam weiter. Die aus Hörfunk und TV bekannte Journalistin und Autorin Tanja Busse erläuterte auf kurzweilige Weise, weshalb sie sich für den Naturschutz engagiert – und dabei zeichnete sie ein realistisches, wenig rosiges Bild. Sie sprach vielen aus der Seele und leitete immer wieder geschickt über zu den musikalischen Einlagen des Jazz-Trios um Jan Luley, das verschiedene Interpretationen des deutschen Volkslieds "Die Vogelhochzeit" darbot. Von Samba bis Boogie-Woogie war alles dabei.

Busse erklärte, dass die Braut – eine Amsel – heutzutage wohl keinen Blumentopf mehr bekommen würde, weil es kaum mehr einen Wiedehopf gibt, der ihn bringen könnte. Aufgrund des massiven Rückgangs der Vogelarten ist die Lage sogar noch schlimmer! Die Hochzeit könnte eigentlich nicht einmal mehr stattfinden, denn es würde ein Vogel fehlen, der im Lied eine der wichtigsten Rollen in dem Lied spielt: "Der Auerhahn, der Auerhahn, der war der stolze Herr Kaplan."

So nachdenklich dies auch stimmte, die talentierte und preisgekrönte Poetry-Slammerin Mona Harry sorgte mit ihren mitreißenden Auftritten für jede Menge frischen Wind und begeistertes Staunen. Neben ihrer "Liebeserklärung an den Norden" trug sie als Premiere ihr eigens für den Kongress geschriebenes Naturgucker-Gedicht vor – und es war buchstäblich ein Gedicht, da war sich das Publikum einig.

Geballtes Wissen am Samstag

Bereits um 9 Uhr ging es am Samstagmorgen los mit der Eröffnung durch Stefan Munzinger und Hartmut Mai. Anschließend stellte Munzinger Neues und Fakten rund um naturgucker.de vor. Unter anderem wurden zum Kongress zwei kostenlose Apps veröffentlicht: die Praxisapp naturgucken (siehe Google Play) sowie die Naturerlebnis Leinepolder App (siehe Google Play); die iOS-Versionen werden ebenfalls in Kürze erhältlich sein.

Über die große Bedeutung der intensivierte Zusammenarbeit zwischen naturgucker.de und dem NABU sprach anschließend Ralf Schulte vom NABU-Bundesverband. Dieser wird auch der Partner bei einem Projekt sein, dessen Beginn für die kommenden Monate geplant ist und das voraussichtlich auf dem naturgucker|kongress 2017 näher erläutert werden wird.

Prof. Dr. Michael Rademacher von der TH Bingen lenkte den Blick auf Lebensräume, die im Allgemeinen eher nicht mit Natur in Verbindung gebracht werden. In seinem Vortrag "Kiesgrube, Steinbruch & Co.: Rettungsanker für die heimische Artenvielfalt?" zeigte er auf, was Wirtschaftsunternehmen durch ein gut durchdachtes Management dieser "Landschaftswunden" leisten können, um die Artenvielfalt zu steigern. Dieser "Naturschutz mit dem Bagger" ist ein Konzept, das in Zukunft sicherlich noch an der einen oder anderen Stelle von sich reden machen dürfte.

Das Seminarprogramm ab dem Mittag hielt eine Fülle von Themen bereit, die von den jeweiligen Referenten in Kurzvorträgen präsentiert wurden. So konnten sich die Kongressbesucher beispielsweise über die neuen Kenngrößen auf naturgucker.de informieren oder sich von Prof. Dr. Werner Kunz, Uni Düsseldorf, erläutern lassen, weshalb der Naturschutz den Artenschwund seit 1960 seiner Meinung nach nicht verhindern konnte. Das Feuersalamander-Meldenetz in Hessen wurde ebenso vorgestellt wie Mäuse und Rotmilane im Vogelsberg, die Naturschätze Rodgaus und ein Kreuzkrötenwunder in Hessen.

Unter dem Titel „Vogelspuren - die andere Art von Biodiversität“ zeigte Prof. Dr. Hans-Heiner Bergmann, Uni Osnabrück, wie beispielsweise Spechtschmieden und Eisvogelgewölle aussehen und sich zum indirekten Nachweis der genannten Vogelarten eignen. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt sowie die Veränderungen bei Tagfaltern, Libellen und Pflanzen brachte Prof. Dr. Stefan Brunzel, FH Erfurt, dem Publikum näher. NABU-Naturschutzreferentin Cosima Lindemann beleuchtete in ihrem Vortrag das komplexe Thema "MenschNatur – Wie natürlich ist Naturschutz?". Ihre Überlegungen zum Spannungsfeld Kultur des Menschen und Natur regten stark zum Nachdenken an.

Wie bereits vor dem Kongress angekündigt, wurden zudem die ersten Ergebnisse der Studie zur Schlafqualität und zum Schlafverhalten von Naturguckern veröffentlicht. Über 600 Naturgucker hatten hierfür vorab einen Fragebogen ausgefüllt und so Inhalte für die Forschung des Schlafmediziners Prof. Dr. Josef Alexander Wirth, Alfeld, geliefert. Für großes Schmunzeln sorgte beispielsweise die Erkenntnis, dass Vogelbeobachter verglichen mit anderen Artengruppenbeobachtern wohl am schlechtesten schlafen – vielleicht, weil sie oft extrem früh aufstehen (der frühe Vogel fängt schließlich den Wurm!) und bis zum späten Abend aktiv sind. Weitere Auswertungen der Umfragedaten werden noch folgen.

Am späten Nachmittag standen außerdem Vorträge über Erfolge von Naturguckern sowie die Ehrung des Nachwuchspreisträgers Felix Engelbrecht des Fotowettbewerbs SIGMA naturbild 2016 auf dem Programm. Der Gesamtsieger Folkert Christoffers konnte wegen seiner Urlaubsreise leider nicht anwesend sein. Nach der Ehrung schloss ein Bildvortrag mit den bei den Nutzern beliebtesten Fotos aus den verschiedenen Artengruppen auf naturgucker.de die Nachmittags-Session ab.

Grundsatzdiskussion am Samstagabend

Musikalisches (wie schon am Vorabend Jan Luley) und Kulinarisches aus Hessen (leckere warme Speisen) stimmten später auf die Abendveranstaltung ein, die es in sich hatte. Auf dem Podium vertraten Prof. Dr. Eckhard Jedicke, Hochschule Geisenheim University, und Prof. Dr. Michael Rademacher gegensätzliche Ansichten, wie Naturschutz umzusetzen ist – eher integrativ unter Einbeziehung der (land- und forst)wirtschaftliche Belange der Menschen oder eher segregativ, also mit einer strikten räumlichen Trennung von Schutz- und Nutzflächen. Außerdem wurde diskutiert, ob dabei der Einsatz schweren Geräts – Stichwort "Naturschutzpanzer" - sinnvoll sein kann oder nicht.

Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Dr. Daniel Lingenhöhl, Redaktionsleiter spektrum.de und selbst engagierter Naturliebhaber. In die lebhafte Diskussion wurde während der gesamten Dauer auch das Publikum mit einbezogen.

Gemeinsam Naturgucken am Sonntag

Nach so viel Wissensvermittlung folgte am Sonntag der praktische Teil des naturgucker|kongresses: die gemeinsame Exkursion zum FFH-Gebiet Hute am Seilerberg bei Ehlen. Dort konnte man live erleben, was passiert, wenn ein großer Trupp von Naturguckern gemeinsam ein Gebiet erkundet. In vier Gruppen aufgeteilt, durchkämmten die Teilnehmer das vom NABU betreute Areal auf der Suche nach Arten – insgesamt kamen über 300 zusammen, siehe Beobachtungsdaten!

Die Botanik-Gruppe führte der aus den Medien bekannte Pflanzenkenner Jürgen Feder, der versierte Naturgucker Torsten Hunger leitete die Pilzexkursion, Maik Sommerhage vom NABU Hessen (und selbst auch aktiv bei naturgucker.de) suchte mit seiner Gruppe speziell nach Vögeln und naturgucker.de-Fachbeiratssprecher Dieter Schneider leitete den Trupp, der nach allem suchte, was kleiner als 5 cm war und ganz nebenbei in anderen Artengruppen „wilderte“, denn selbstverständlich setzte diese Gruppe beispielsweise auch die beiden Eichelhäher auf die Liste, denen sie  unterwegs begegnete.

Wie für die Exkursion gemacht war das Wetter an diesem Sonntag: strahlend blauer, wolkenloser Himmel, wenig Wind und mittags um die 18 Grad. Von der Acker-Kratzdistel über den Kernbeißer bis hin zum Zunderschwamm reicht die Artenausbeute. Fotos wurden ebenfalls jede Menge gemacht. Das Fachsimpeln untereinander und das gegenseitige Kennenlernen waren weitere Highlights dieser geselligen Exkursion, bei der das Team des NABU Bad Emstal mit leckeren Speisen und Getränken vor Ort für das leibliche Wohl sorgten.

Am Ende des letzten Kongress-Tages war für viele Besucher bereits klar: Sie wollen im nächsten Jahr wieder dabei sein, wenn naturgucker.de und der NABU nach Kassel einladen. Und wir werden unser Bestes geben, auch 2017 hoffentlich wieder eine "runde" Veranstaltung auf die Beine zu stellen.